Eristik

Beispiele: „Da kann man ja gleich die ganze arabische Welt zu uns einladen!“; „SIE waren es doch, Herr Kollege, der damals…“; „Die Sonne ist eine heiße Kugel; alle Kugeln sind somit heiß“; „Von einem Wahlbetrüger lassen wir uns nichts mehr erzählen!“; „So, so, Sie wollen also die Steuererklärung vereinfachen? Wie soll das gehen bei jemandem, der … [ … Aufzählung abstruser und problematischer Einzelfälle]?“

 

Die eristische Argumentationsweise (ἐριστικὴ τέχνη, kurz „Eristik“, von altgriech. ἔρις (éris) – Streit, Zwietracht) bezeichnet eine unrühmliche Verhaltensweise während einer argumentativen Auseinandersetzung. Die Eristik kennzeichnet etwa persönliche Angriffe auf den Diskussionsgegner, die Verwendung von Trugschlüssen, Scheinbeweise oder allgemein verpönte Verwirrungstaktiken. Der eristisch Argumentierende stellt seinem Diskussionsgegner starre Entweder-Oder-Fragen, deren Antworten beide nicht tragbar sind und ihn schlecht aussehen lassen.

 Zu den eristischen Techniken gehören unzulässige Verallgemeinerungen, die absurde Erweiterung oder die Verengung des Gemeinten, das bewusste Ausnutzen der Mehrdeutigkeit von Begriffen bzw. der Polyvalenz von Texten ebenso wie verschiedene, in böswilliger Absicht eingesetzte Pathoselemente (Hyperbole, Cum-hoc-ergo-propter-hoc-Schluss, Tu-quoque-„Argument“).

 

Eine Abgrenzung fällt schwer, weil der Unterschied zwischen einer eristischen und einer nicht-eristischen Rhetorik manchmal nur in der Intention, dem Ausmaß der eingesetzten Mittel oder den Begleitumständen der Rede liegt. 

 

Während die Eristik in der Antike, besonders von den Sophisten, noch als Technik gelehrt wurde und sich selbst bei Aristoteles Anleitungen zu solchem Vorgehen finden, begann Aristoteles in seinen Sophistischen Widerlegungen zugleich damit, den Leser für derlei Taktiken zu sensibilisieren und ihm Gegenmaßnahmen an die Hand zu geben. In der Disputationstradition hat sich der Begriff Eristik nicht über die Antike hinaus gehalten, sondern wandelte sich von „Dialektik“ über „contentio“ oder „libido rixandi“ (Streitsucht) bis hin zu dem modernen Begriff der „Fallacy“.

 

Beispiele für eristische Argumentation sind der „Krokodilschluss“ und die „Straw man fallacy“ (Strohmann-Argument). Dietz[1] beschreibt den Krokodilschluss so: Es werde postuliert, ein Krokodil nehme einer Mutter ihr Kind weg und verspreche seine Rückgabe für den Fall, dass die Mutter errate, ob das Krokodil das Kind zurückgeben werde oder nicht. Meine die Mutter, das Krokodil werde das Kind nicht zurückgeben, könne sie mit der Rückgabe ihres Kindes in jedem Falle rechnen, denn entweder ihre Annahme sei richtig gewesen (dann bekäme sie ihr Kind schon deswegen zurück) oder ihre Annahme sei falsch gewesen (dann hätte das Krokodil ohnehin vorgehabt, das Kind zurückzugeben). Umgekehrt könne das Krokodil in jedem Fall das Kind behalten, denn die Mutter habe seine Absicht dann nicht richtig erraten oder es habe nie vorgehabt, das Kind zurückzugeben. Solche Trugschlüsse, bei denen entgegengesetzte Schlüsse gleichzeitig wahr zu sein scheinen, tauchen bereits mit Korax und Teisias (dort deren berühmter Prozess gegeneinander) im Syrakus des 5. Jahrhunderts v. Chr. auf. Beim Strohmann-Argument wird ein fiktiver Disputant dargestellt („Manch einer meint…“, „Die Presse behauptet…“) und es werden ihm verzerrte, schlicht unwahre oder untragbare Thesen angedichtet, die leicht zu widerlegen sind. Damit erscheint der andere Disputant überlegen, weil der Strohmann sich nicht wehren kann und er eine „Auseinandersetzung“ mit dem Gegner „verloren“ hat. Es entsteht um den die Argumentation Nutzenden der Anschein von Souveränität und Wahrheit, trotzdem er seine eigenen Thesen nachgerade nicht bewiesen, sondern nur scheinbar entgegenstehende Thesen (und noch dazu schlechte oder eben fabulierte) widerlegt hat.

 

Während es früher zum Unterrichtsprogramm gehörte, eristische Techne zu vermitteln, und es immer noch in vielen Praxisseminaren für zulässig gilt, einen polemischen Gegner mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, meint man auf akademischer Ebene heute eher, dass eine sachliche Argumentation die besten Resultate zeitigt. Allerdings gilt es nicht als eristisch, den Gegner auf seine Trugschlüsse oder Widersprüchlichkeiten hinzuweisen. Welches Vorgehen – in etwas was, wann, von wem – in der hiesigen Rechtspraxis tatsächlich Erfolg hat, wäre noch zu untersuchen.  

 

 


[1] Dietz, Eristik, in: Ueding (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik Band 2 (Bie-Eul), Tübingen 1994, Sp. 1389 [1394].